Seit 2014 begleiten und unterstützen wir die Geflüchteten in allen Bereichen ihres Lebens. Hierzu zählen zum Beispiel Wohnungssuche, Gesundheitsbetreuung, Arbeitsvermittlung, Ausbildungssuche, Themen zu Schule, Kita und Kindergarten, Fragen im finanziellen Bereich, Asylverfahren und – natürlich sehr wichtig – Sprachlehrgänge.
Aber auch Themen, die nicht vorrangig wichtig erscheinen, werden von uns sowohl persönlich als auch zum Beispiel über WhatsApp-Gruppen als Information zur Verfügung gestellt. Dies können zum Beispiel Freizeit- und Kulturveranstaltungen sein und/oder – wie zur Zeit aktuell – Hinweise zu Bus- und Bahnstreiks.
Wir stehen in regelmäßigem Austausch mit den unterschiedlichsten Institutionen und arbeiten mit diesen, wann immer es möglich ist, zusammen. Unerlässlich ist dabei die gegenseitige Wertschätzung und der Respekt.
Wir dürfen also ein wenig stolz sein – im November 2024 feiert der Fluchtpunkt Kürten sein 10-jähriges Jubiläum.
Bereits im März 2020 habe ich die Entstehungsgeschichte zusammen getragen. Gerne möchten wir die Entstehungsgeschichte mit euch teilen und euch mit auf die Reise nehmen.
Birgit Oberkötter
Es beginnt im Jahre 2014
Die ersten Geflüchteten aus den Kriegsgebieten des mittleren Ostens, aus Syrien und dem Irak, erreichen Kürten. Gefolgt von Menschen aus Eritrea und anderen afrikanischen Staaten. Noch fallen die Menschen in unserer beschaulichen Gemeinde nicht sonderlich auf. Noch sind es sehr wenige.
Erster „Runder Tisch“
Im Herbst 2014 lädt der Bürgermeister Willi Heider Vertreter von Politik, Kirche, Vereinen und Verbänden zu einem ersten Informationsgespräch ins Rathaus ein. Der Bürgermeister hat erkannt, dass da etwas auf uns zurollt. Ein bisschen schmunzelnd kann man im Nachhinein sagen: Das war leider auch schon alles. Einen Plan, was jetzt zu geschehen hat, gibt es nicht. Es ist aber ein Stein ins Rollen gekommen.
Anfang 2015 kommt es zu mehreren kleineren Treffen im Rathaus der Gemeinde. Beim zweiten „Runder Tisch-Treffen“ entsteht die Idee vom „Netzwerk Flüchtlinge Kürten“. Auf einer Menge „viel zu kleiner Zettel“ (Zitat Michael Weinmann) werden die ersten Bedarfe festgehalten und das „Kernteam“ formiert sich. Es besteht aus 9 Personen und setzt sich zusammen aus Bürgern, Mitarbeitern des Sozialamtes und den Kirchen. Das Kernteam setzt die weiteren Ziele fest. Das Netzwerk aus „bürgerschaftlichem Engagement aller Menschen guten Willens“ (Zitat Willi Broich), der „Fluchtpunkt Kürten“ erfährt seinen Anfang.
Die Mitglieder des Kernteams agieren wie Multiplikatoren. Ihre Ideen und Visionen werden von den Bürgern aufgegriffen und von der Politik und den Kirchen unterstützt. Es ist der Beginn einer großartigen Welle der Hilfsbereitschaft. Die Fehler bei der mangelhaften Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern in den vergangenen Jahrzehnten sollen sich nicht wiederholen. Man möchte die vielen Menschen, die sich Richtung Europa aufgemacht haben und von denen einige mit Sicherheit nach Kürten kommen werden, mit einem Integrationskonzept empfangen.
Menschen in Würde gastfreundlich empfangen, behandeln und begleiten.
Das Integrationskonzept besteht bis heute aus 5 Säulen:
- Wohnen und Leben
- Sprache und Bildung
- Sport und Gesundheit
- Arbeit und Ausbildung
- Soziales Leben
Noch mehr Menschen kommen …
Anfang 2015 kommen immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Viele werden sich an die Bilder von langen Menschenströmen auf dem Balkan erinnern. Es waren plötzlich so viele, dass die Gemeinden und Städte mit der Unterbringung und Versorgung völlig überfordert waren.
„Was sagen Sie denn zu den ganzen Flüchtlingen hier!?“ „Guten Morgen, guten Tag oder guten Abend. Kommt ganz drauf an, wann ich einem begegne …“ (Facebook 2015, Verfasser unbekannt)
Dank des Runden Tisches sieht die Versorgung in unserer Gemeine etwas anders aus. Kürten ist vorbereitet. Man setzt auf eine dezentrale Unterbringung. Es soll keine großen Camps geben, in denen die Menschen isoliert und anonym leben. Größere Häuser können angemietet werden. Die Turnhalle der Grundschule in Biesfeld wird vorübergehend zu einer Notunterkunft hergerichtet. Sie bleibt aber die einzige Turnhalle an Kürtener Schulen, die kurzfristig umgenutzt werden muss.
Immer mehr Menschen mit dunklerer Haut und schwarzen Haaren bestimmen das Ortsbild, versuchen sich zu orientieren und leisten erste Gehversuche in einer völlig fremden Welt.
Die angemieteten Wohnhäuser und die Containerunterkunft, verschönernd „Gelbes Haus“ genannt, werden mit Betten aufgefüllt.
Eine Etage in einem Stockbett und ein 90 cm breiter, abschließbarer Metallschrank, ein Bettwäscheset, ein Kochtopf- und ein Geschirrset. Das ist alles, was die meisten Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Deutschland ihr Eigen nennen können.
Inzwischen ist es Oktober 2015
Viele haben auf der Flucht alles verloren. Sie besitzen nur das, was sie am Leibe tragen. Und das besteht meist aus Flip-Flops, kurzer Hose und T-Shirt. Ihr Hab und Gut haben fast alle irgendwo lassen müssen. So mancher Rucksack sank auf den Boden des Mittelmeeres zwischen der Türkei und Griechenland. Es war kein Platz in den überfüllten Schlauchbooten und wenn das dunkle Wasser der See über den Bootsrand schwappte, musste jedes Stück Gewicht über Bord geworfen werden. An den Kontrollpunkten der Balkanroute verloren dann die Letzten ihre Habseligkeiten. Fast jeder wurde irgendwann von geldgierigen Grenzern und Polizisten dazu gezwungen, sich nackt auszuziehen und alles wurde auf Geld und Wertsachen durchwühlt. Auch viele Handys und Uhren blieben im Balkan. Ein Iraker berichtete mir, dass er sein Geld unter seine Fußsohlen geklebt hatte. Dort wurde es tatsächlich nicht gefunden.
Doch zurück nach Kürten …
In den Zimmern der angemieteten Häuser leben die Menschen zu der Zeit auf engstem Raum. 8 und 12 Personen in einem Zimmer sind keine Seltenheit. In einer Notunterkunft müssen sich mehr als 30 Personen ein Badezimmer, 2 Toiletten und eine Küche mit 2 Elektroherden teilen.
Aber irgendwie war das egal. Alle sind in einer euphorisierten Aufbruchstimmung. Man teilt mit allem und jedem. Man kocht zusammen, feiert Geburtstag, hilft sich gegenseitig. Schließlich hat man den Sehnsuchtsort Europa erreicht. Man lebt noch und jetzt kann es eigentlich nur noch besser werden. Damals ahnen die meisten noch nicht, welche Ernüchterung auf sie zukommen sollte …
Weiter geht es im nächsten Newsletter mit „Die Sache mit der Sprache, 1. Teil“ und wir werden die Geschichte der Erstehung des Fluchtpunkts weiter fortsetzen.